26. März 2020

Sie tanzt vor mir rum. Als ob sie noch nie mit mir spazieren gewesen wäre. Es sind nur diese wenigen Meter, die sie an einer Leine gehen muss. Nur diese wenigen Meter, die ich sie schützen will vor der Strasse. Doch sie weiß es besser. Sie will es anders. Sie ist die Leitziege. Sie führt die Herde.

Und aktuell führt sie die Herde in den Wahnsinn.
Ich erkenne mich wieder. Erkenne mich in den Zeiten von Corona. Eine erfahrene Ziege. Eine Leitziege, die Firma, Haus und Hof, und Fürsorge Aufgaben treu übernimmt. Eine Lady, auf die immer Verlass war, die sich immer an zweiter Stelle sah. Die Herde ging vor.

Doch nun, - irgendwas hat meine reale Ziege tief verunsichert. Sie schmeisst den Kopf hin und her, sie wehrt sich gegen jegliche Führung. Und mit ihrem Tanz an der Leine macht sie mir die ganzen Jungtiere narrisch.

Und dann wird es mir klar. Sie ist vor mir! Sie führt. Ich, der Hirte, steuere nur noch dagegen. Geht es mir mit meinem Hirten auch so? Habe ich in den Zeiten der Angst das Ruder übernommen? Bin ich voraus geeilt und spüre meinen Gott nur noch als Anhängsel? Etwas Diffuses, was mich von hinten anscheinend aufhalten will?

Die nächste Einfahrt nutze ich. Ich sortiere meine Herde um. „Süsse, hey Schatz, schau mich an. Ich bin dein Hirte. Lauf neben mir, lass mich dich schützen. Vertrau mir, ok?“ Ich streichele sie zwischen den Hörnern. Das liebt jede Ziege. Das sind die Ecken, in denen sich Ziegen nicht selber kratzen können. Und ein Teil in mir grinst. „Papa im Himmel, kannst du mich auch mal wieder kraulen, an den Ecken meiner Seele, wo ich nicht selber dran komme. Am besten zwischen meinen starken Hörnern.“ Sie wird ruhig, reiht sich ein. Die Jungtiere werden ruhig. Und wir gehen als Herde weiter.

Der Hirte vor raus. Wie schön, ihr Vertrauen zu geniessen. Wie wohltuend.
„Papa, lass es mich von ihr lernen. Lass mich dir neu vertrauen.“

Copyright by ira bischoff borggräfe